„The best paddler you’ve never heard of“ Horst Hattinger hat es wieder getan. Wie schon zuvor bei seiner Kajaktour durch Malabar und Ladakh und seiner Tagliamento-Kanu-Tour berichtet er auch in den folgenden beiden Artikeln bescheiden, aber eindrucksvoll von seinen Abenteuerurlauben. Diese finden stets im Einklang mit der Natur statt und zeugen von bewundernswertem Einklang mit seinem Umfeld. Mit im Gepäck beim Ladakh Trekking und der Kajak-Tour: Unser ultraleichtes Trekkingzelt Trek Escape!
Wege zwischen Tibet, Pakistan und Indien an Land und am Fluss
Ich widme diese Zeilen Stephan Piltzer, einem meiner besten Freunde und Bergkameraden des letzten Jahrzehntes:
Stephan du warst nicht nur stets ein lustiger, sehr guter Begleiter am Fluss und Berg, sondern dich zeichnete auch dein unbeschreiblich ehrlicher Humor und vor allem ein hohes Maß an Weisheit aus. Unvergessen bleiben die Touren und geheimen Pfade, die wir betraten und die lustigen, philosophischen Abende am Lagerfeuer, auf Hütten oder in deiner neuen Heimat Obertraun. Schade, dass du es warst, der mich wieder einmal sehr hart auf die Vergänglichkeit des irdischen Lebens aufmerksam machte. Egal wie, ein Teil von dir lebt in mir weiter. „Alles Gut“ pflegtest du stets zu sagen, auch in den steilsten Rinnen, wenn meine Nerven blank lagen. Darum hast du auch von meiner Mama den Spitznamen „da allesgut“ bekommen. „He oida“ hast du mich meist angeredet. Darum „He oida allesgut; ich werde dich vermissen!“
Einige Episoden meiner letzten Reise habe ich dir bei unserer letzten gemeinsamen Totengebirgstour bereits erzählt; zum längeren Austausch ist es nicht mehr gekommen. Unweit unseres letzten gemeinsamen Treffens hast du dieses Leben verlassen und …..
Spricht man von Vergänglichkeit, so ist dies gerade in den wilden Gebirgslandschaften unserer Erde unglaublich präsent. Die Schönheit des Tages verliert sich in der dunklen, kalten Nacht und der Sternenhimmel lässt einen beim nächtlichen Toilettengang oft recht demütig inne halten, ehe der kühle Wind einen wieder in den Daunenschlafsack ins Zelt treibt.
Mühsam ist jeder Atemzug in den höchsten Gebirgsregionen des Himalaya-Gebirges und doch erfüllt er unsere Körper mit Leben. Eine Hochgebirgswüste, deren Schönheit im Detail und doch in einer gewaltigen Fülle liegt, umgibt dich und es als schön oder doch unwirtlich zu beurteilen, ist rein Aufgabe der eigenen Wahrnehmung, des Befindens, der Kraft und Sicht der Dinge im Moment, deines eigenen Gedankenspieles. Gerade letzteres nimmt man mehr wahr, je weniger man abgelenkt ist vom Lärm der üblichen uns umgebenden Welt.
Das Leben reduziert auf das Wesentliche und doch bleibt alles wirklich Wichtige erhalten. Kein Problem verschwindet, doch wird es nicht zum Zentrum deiner Aufmerksamkeit, denn man ist stets im Bann der unbeschreiblichen Einsamkeit, der dich umgebenden Bergriesen.
Ladakh Trekking: Von Tso Moriri durch das einsame Hirtenland nach Spiti
Bereits zum wiederholten Male rief mich meine innere Stimme ins Hochland von Ladakh. Die Touristenattraktionen konzentrieren sich auf ein paar wenige Täler, Berge und Siedlungen und obwohl auch der Fortschritt dort nicht Halt macht, kommt man – schneller als man denkt – an Orte und in Gegenden, die umgangssprachlich „von Gott verlassen“ sind. Gerade diese Regionen sind jedoch voll an Urkraft unserer vielerorts ach so gezähmten Natur. Was sollte man dort massenhaft pflanzen – keine Rohstoffe, die man plündern könnte. Und wer will schon an einem See auf 4800 m bei 5 Grad Celsius Abendtemperatur (am wärmsten Tag des Jahres) einen Cocktail schlürfen. Dennoch gibt es Indizien dafür, dass auch dieses Paradies ins Visier der großen Gier diverser Wirtschaftszweige gekommen zu sein scheint. Ich habe mir jedoch vorgenommen, über dieses Thema nicht zu schreiben, da es allzu schnell in unwegsames Gelände führen würde. Stattdessen möchte ich mich auf die gegenwärtige Schönheit und Gewaltigkeit der Natur dort konzentrieren und die mit ihr einhergehende Herzlichkeit des Volkes, der Bauern, Nomaden und Pferdetreiber im wilden Grenzland zwischen Indien, Pakistan und China (Tibet).
Es gibt verschiedene Zugänge zu abenteuerlichen Wegen. Ich bevorzuge den sehr wenig verbreiteten Weg des Ideensammelns, Abwartens und dann genau zum richtigen Zeitpunkt etwas durchzuziehen, das häufig nicht zuvor als Plan im Sinne von „ich weiß was mich erwartet, welche Ziele, Gipfel oder Flüsse“ vorliegt.
Natürlich muss man in der unmittelbaren Vorbereitung dann Karten organisieren, Nahrungsmittel kaufen und organisieren.
Auch dieses Mal komme ich nach Ladakh, mit der Grundidee „ Leben zu atmen“ und dem Auftrag in mir, dies wie gehabt zu tun, indem ich mich zu Fuß und im Kajak auf die Reise mache; dass dabei gar kein sportliches Ego mitschwingt, das auch „große Leistungen“ erbringen möchte, wäre nicht korrekt; dennoch beobachte ich es als nicht vordergründig und dann soll es doch auch seinen Platz haben.
Die Airline verweigert mir die Mitnahme meines Kajaks und so ist mir schon während der Anreise klar, dass dies in jedem Fall ein Indiz dafür sein soll, wieder einmal längere Zeit zu Fuß zu marschieren. Da ich ja einige Wochen Zeit habe, kann ich auch beruhigt sein, denn da bleibt auch noch Zeit, meine Wildwasserfreude nicht zu kurz kommen zu lassen.
Dass dann auch noch meine Partnerin Maria Feldmann, mit der ich vor Jahren mit 2 Eseln durch das Tien Shan Gebirge gewandert bin, anreist (sie dürfte wohl auch nach der „Idee – Abwarten – Durchziehen“-Taktik gehandelt haben) macht klar, dass es ein spannender Weg, … mhh … achja – von Tso Moriri nach Spiti Valley – werden soll. Die Entscheidung ist in wenigen Minuten Kartenstudium gefallen, noch bevor sie überhaupt in Leh ankommt und erst nachher merke ich, dass es sich bei der Tour um eine 9-tägige, völlig einsame Unternehmung nahe der tibetischen Grenze handelt, deren Highlight wohl die Überquerung des 5580 m hohen Parang La Passes sein wird, inklusive eines mehrstündigen Marsches über den großen Gletschers, der zum Pass hinaufzieht.
Wenn man weiß, was man will, ergibt sich das Detail oft aus dem Leben automatisch. Ich möchte einige Tage durch einsame Landschaften ziehen, ohne allzu viele technische Hilfsmittel, ohne Zeitdruck; dem gesamten Körper und Geist ein paar Tage im Jahr noch mehr, als ich es ohnedies auch sonst versuche, Struktur zu gewähren; und zwar nicht jene des Dienstplanes oder des alltäglichen Lebens, sondern jene der Natur – und demnach auch mir. Das sportliche Ego wird auch nicht zu kurz kommen. „Alles gut!“
In Wirklichkeit ist es schwer, vor dem Laptop sitzend einen Weg durch ein Land wie dieses nach zu erzählen; obwohl Ladakh auch nicht mehr „hinter dem Mond“ ist und der technische Fortschritt eben auch dort voranschreitet. (Anm.: Fortschreiten dürfte nicht das Problem der Menschheit sein; eher das Fortschreiten von sich selbst.) Doch selbst im touristischen Leh ist Internet sehr langsam oder oft tagelang nicht verfügbar. Sehr zum Leidwesen derjeniger, die die neue Art zu reisen wählen. „TripAdvisor“ ist dann nicht die Rettung, um ein gutes Restaurant zu finden; aber es gibt viele Touristen, die man fragen kann. Ich bevorzuge, mich bei den Einheimischen zu erkundigen und so kommt es, dass wir ein ziemlich abgelegenes, von Nepali geführtes, kleines Gasthaus finden, wo wir nicht nur um 70 Cent pro Kopf und Nase, sondern auch wunderbar gut und soviel wir wollen, (ver)speisen. Der regelmäßige Stromausfall stört dort niemanden und die einzigen ausländischen Gäste (wir) werden liebevoll mit Kerzen versorgt.
Wir machen die nötigen Einkäufe, um für die 9-tägige Tour gerüstet zu sein. Tsampa (geröstete Gerste), das traditionelle Nahrungsmittel der Tibeter und Ladakhis, darf als Frühstück nicht fehlen, ein paar Nudeln und Reis und etwas Gemüse. Ich neige dazu, zu viel zu schleppen, aber mit den Jahren bin ich nun auch dabei genauer geworden. Immer noch komme ich ohne Trekking-Instantnahrungsmittel oder gar Dosen aus. Vergeblich sucht manch einer einen großen Supermarkt; gibt es – zum Glück – immer noch nicht (auch keine Fast Food Kette) und so spaziert man den ganzen Tag durch das Städtchen, das heuer nicht so staubig wie sonst ist, da es in Ladakh in diesem Jahr außerordentlich viel und fast täglich regnet.
Neben ein paar Kajakfahrten auf dem unteren Zanskar dient das Einkaufen der Akklimatisierung; unsere Tour startet am Tso Moriri auf 4522 m und da ist die Luft bereits recht dünn. Will man nicht täglich blutverdünnende Schmerzmittel oder gar prophylaktisch Pillen gegen die Höhenkrankheit schlucken, ist sich-Zeit-nehmen das wichtigste „Mittel“ gegen tägliche Kopfschmerzen und sonstige Symptome. Mancher glaubt, das wäre normal, derweil ist es einfach grundlegend entscheidend, wenn man hier seine Wege geht, zu erkennen, mit welcher Geschwindigkeit das passieren soll. Ich spreche dabei gar nicht das Tempo, in dem wir uns bewegen, an, sondern die Art und Weise, wie wir uns schnell oder langsam bewegen, handeln, essen u.s.w.
Das Dörfchen Korzok, in dem wir starten, ist eine der ganz wenigen unsympathischen Siedlungen in Ladakh. Ich kenne es von meiner Reise vor Jahren und es hat sich kaum zum Besseren geändert. So fällt uns der Abschied nicht besonders schwer und es wird 10 Tage dauern, bis wir wieder in ein Dörfchen kommen.
Den ersten Tag bewegen wir uns schließlich sehr gemächlich den riesigen See entlang. Schon nach wenigen Kilometern beginnt man, Einsamkeit zu spüren und das erste Camp erscheint einem bereits, als wäre man im absoluten Niemandsland. Ist man eigentlich ja auch, denn recht viel abgeschiedener von der klassischen Zivilisation, wie wir sie kennen und schätzen, kann man kaum mehr sein und jeder Schritt ist ein Stück in Richtung „noch weiter weg“ und gleichzeitig „näher dran“ am Ziel.
Das Wetter bereitet etwas Sorgen, denn im Himalaya-Hauptkamm ist es die erste Zeit ziemlich dunkel. Das Überqueren eines über 5500 m hohen Passes mit langer Gletscherüberschreitung ist nur bei guter Witterung möglich. Bis ins letzte Lager sind es jedoch noch ein paar Tage. Der Gegenwind des über den Hauptkamm blasenden Monsuns macht es uns manchmal echt schwer, glücklich drein zu schauen. Wohl gewählt werden die Campplätze nach Kriterien, an die man bei uns wohl selten denkt.
Plötzlich ein Heulen in unserem Rücken; Maria und ich drehen uns blitzartig um und sehen etwas Schwarzes auf uns zukommen – „ein Wolf?“. Ich rufe laut „keine Ahnung, was!“ und dann sehe ich, dass es ein Hirtenhund ist; das Gebiet ist Nomadenland. Also doch kein Niemandsland? Man glaubt nicht, wo überall in dieser Hochgebirgsödnis Hirten lagern. Der Hund dreht brav ab und ein Wildesel, der uns an diesem Tag beim Jausnen umkreist, ist uns verhältnismäßig „egal“, aber schön zu beobachten.
Zu guter Letzt werden wir an diesem Tag noch von drei voll bewaffneten Soldaten verfolgt. Auch sie stellen sich als harmlos heraus; sie haben uns erspäht und wollten nur wissen, wohin diese zwei Wanderer so nahe an der tibetischen Grenze unterwegs sind. Ganz egal ist mir derartige Bekanntschaft jedoch nicht…
Der Parechu (in manchen Karten auch Parang chu, Parung chu) ist erreicht; er entspringt am Parunggletscher, den es zu überqueren gilt. Bis dorthin ist es jedoch noch ein langer Weg und wir steigen Stunde um Stunde, Tag um Tag höher; Wind als große mentale Herausforderung zum immer weniger werdenden Sauerstoff. Der Rucksack wird leichter, aber zeitgleich auch die Kraft weniger. Stille und traumhafte Ausblicke machen manch eine anstrengende Stunde vergessen. Im Kopf wird es ruhiger, was die „Probleme“ zu Hause betrifft. Man kreiert sich stattdessen (brav) Sorgen vor Ort: Wird das Wetter wohl halten? Hoffentlich finde ich mit der sehr schlechten Karte auch alle richtigen Abzweigungen?
Ich habe mich vor Jahren einmal im Himalaya verlaufen geglaubt. Bei der Mächtigkeit und Weitläufigkeit des Gebietes ist das eine sehr große mentale Herausforderung.
Nach 7 Tagen erreichen wir das letzte Lager am Fuße des Parunggletscher auf etwa 5000 m. Maria geht es nicht besonders gut. Kopfschmerzen und große Regelbeschwerden plagen sie die ganze Nacht. Normal sollte eine Frau sich gerade in dieser sensiblen Phase schonen – doch ist dies leider die nächsten Tage nicht möglich, denn das Wetter scheint perfekt, um den Pass in Angriff zu nehmen.
Ich gebe mein Bestes, um gerade für sie mit dem Kerosinkocher etwas Warmes zu kochen. Auf dieser Höhe ist das gar nicht so einfach und der dauernde Fallwind macht es auch nicht leichter. Es gibt jedoch Zeiten am Tag, wo es besser geht und die muss man nicht nur kennen, sondern auch nützen.
Der letzte Weg bis zum Pass ist wunderbar, wenn auch ziemlich anstrengend. Die Ausblicke zurück in die Bergwelt, die wir gerade einige Tage durchquerten und der große Gletscher um uns; das große Etappenziel – der Parang La vor uns. „Schiach schön“ würde ich sagen: Natürlich schmerzen die Schultern und in den guten alten Ebenseer Steinkogler Schuhen spürt man stetig mehr die Feuchtigkeit des bereits aufgeweichten Neuschnees, der den Gletscher überdeckt. Schritt für Schritt nähert man sich den bereits von der Ferne gut sichtbaren, tibetischen Fähnchen. Sie zieren stets die Pässe in dieser Gegend. Fast wäre ich zuvor noch in die falsche Richtung gegangen, doch zum Glück gibt mein inneres GPS noch die richtigen Daten durch und so stehen wir – keine Ahnung, um welche Uhrzeit – überglücklich am Pass. Uhrzeit ist mir auf einem derartigen Weg nur dann wichtig, wenn ich zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt irgendetwas tun muss. Der Blick vom Parang La ist überwältigend und mit einem demütigen Blick in die Ferne setze ich für ein paar Minuten meinen schweren Rucksack ab. Im Windschatten eines großen Steines schauen wir noch einmal zurück in das Gebirge, das wir durchquert haben die Tage.
Wir sind unserem Ziel Spiti Valley einen großen Schritt näher gekommen und dürfen nun erstmals seit Tagen einen Pass hinunter wandern. Nähe eines Steinbockrudels lagern wir neben 2 Indern, die ebenfalls in Eigenregie die Unternehmung Parang La (in umgekehrte Richtung) angehen wollen. Wir sind glücklich, es bereits hinter uns zu haben…
Am letzten Tag verfehle ich auf einem Almgebiet den richtigen Weg ins Tal; zu viele Tierspuren der hier weidenden Yak, Pferde und sonstigen Haustieren zeigen einerseits, dass Dörfer nahen; verwirren uns jedoch so sehr, dass wir irgendwann wirklich nicht mehr wissen, wohin es nun geht.
Wir sehen 3 Esel, die mit Yakdung beladen sind, der zum Kochen ins Tal gebracht wird. Hier muss jemand sein, der den Weg kennt. Laut rufe ich „Juleeh“ was soviel wie „Grüß Gott“ heisst und wenige Sekunden später erheben sich 2 Köpfe hinter einem Hügel.
Ein Bauer und sein junger Gehilfe können kein Wort Englisch und mit Händen und Füßen ist jedoch schnell geklärt, dass wir uns vergangen haben. Sie machen ihre Arbeit noch fertig und dann begleiten sie uns ins Tal. „Lebend-GPS“ würde ich sagen und wenige Stunden später erreichen wird Spiti Valley; genau das Dorf Chicham und bei unserem Begleiter der letzten Stunden erhalten wir auch gleich das erste frische Menü. Im Dorf gibt es sogar ein „home stay“ mit einem kleinen „Café“. Geschlafen wird in einem kleinem Extra-Raum mit Ausblick auf Esel und Kuh direkt unterm Fenster, gegessen mit der 9 köpfigen Familie Bodhs. Sehr angenehm, auch wenn der Fernseher selbst hier im versteckten Tal flimmert; kein Problem, denn der Stromausfall lässt nicht lange auf sich warten und so wird wieder einmal im Kerzenlicht gespeist und mit dem lustigen Gastgeber und seiner Gattin gescherzt und gelacht. Lachen ist etwas unheimlich wichtiges in Ladakh, auch wenn Spiti Valley gar nicht mehr zu Ladakh gehört, denn es liegt schon in einem anderen Bundesstaat. Es bleibt das feine Lächeln der meist zutiefst zufriedenen Menschen in diesem Teil der Erde.
Die Rückreise mit dem öffentlichen Bus nach Leh ist eine Geschichte für sich. Straßen kann man das teilweise nicht mehr nennen, wenn man über mehrere hundert Meter mehr oder weniger auf Flüssen durch das Land fährt. Autos kreuz und quer, das Wasser schon fast in Kofferraum-Höhe. Immer wieder unbeschreiblich, mit welcher Geduld man sich hier motorisiert von A nach B – oder besser wäre hier: von X nach Z – bewegt. Wenn ich jetzt schreibe, dass es gerade zum richtigen Zeitpunkt wieder zu regnen beginnt, so klingt das etwas arrogant. Denn obwohl es heuer so viel mehr Niederschlag im Himalaya-Hauptkamm gibt, haben wir das richtige Fenster ausgewählt und ich glaube ja bekanntlich nicht an Zufälle. Einige Male sprechen wir jedoch fast mit leichter Gänsehaut darüber, wie es wohl unseren indischen Freunden im „Niemandsland“ – Verzeihung: „Nomadenland“ – ergeht.
Genau recht kommen wir in Leh an, wo es wie aus Kübeln schüttet. Noch in der Nacht fällt mich ein Hunderudel an; es ist jedoch meine Schuld, warum es dazu kommt. Stromausfall, Starkregen, ein flatternder Poncho und zu schnell an ihnen vorbei – so viel Angst habe ich selten in meinem Leben zuvor gehabt. Das Hunderudel umkreist mich. Ich schreie wie wild und schlage um mich – sie ziehen ab. Grenzerfahrung und Lehrstunde…
Maria kann noch ein paar Souvenire für zu Hause erlangen; Yakwollsocken und Aprikosenkernöl sind meine Favoriten und schnell auch ihre Lieblingsartikel. Die wilden Aprikosen, die hier vielfach auf Höhen bis 3600 m wachsen, sind unbeschreibliche Energielieferanten und auch ich muss meiner 90-jährigen Oma wieder etwas von deren Öl mitbringen. Sie hat es extra in Auftrag gegeben für ihre Haut…
Kajak-Tour: Wildwasser auf 4000 m in einer Hochgebirgswüste
Während Maria wieder in heimatliche Gefilde unterwegs ist, plane ich mit einem internationalen Team von Spitzenkajakern ein weiteres Abenteuer. Mit 2 Amerikanern, einem Engländer und Fahrer „Sin“ führt mich mein Weg weiter an die Grenze zu Pakistan.
Zuerst befahren wir den Wuchtwasser-Flussabschnitt des Indus 130 km bis zur pakistanischen Grenze. Ich kenne diese Strecke schon von vor 3 Jahren, da jedoch heuer der Wasserstand noch etwas höher ist, ist es eine wie schon damals grenzwertige Unternehmung. In zwei Tagen tauchen wir ein in ein wildes Tal, das auch berühmt für den Stamm der Broqpa ist. Viele Geschichten ranken sich um dieses auf nur 4 Dörfer beschränkte Volk und eine Theorie besagt, dass sie Nachkommen von Mitgliedern der Armee Alexander des Großen sind. Sie leben nicht nur vielfach anders als die restlichen Bewohner der umliegenden Regionen, sondern sehen auch anders aus, mit manchmal blonden Haaren und blauen Augen. Ein Dorf dieses Stammes ist die letzte Ausstiegstelle vor der pakistanisch-indischen Grenzregion. Ein viele Kilometer breites Sperrgebiet, das nicht bereist werden darf. Das Dorf Beama kann man als Tourist mit einem Permit betreten; doch nicht viele verirren sich hier her…
Im Anschluss an diese spezielle Zeit, in dieser energetisch hoch spannenden Region, wo es gerade so wimmelt an Militär, geht es in eine nicht weniger heikle, wenn auch ebenso spannende und abgelegene Gegend ein Tal nördlicher nach Nubra Valley. Hier treffen die zwei Riesengebirge Himalaya und Karakorum zusammen.
Dort muss A. J. Johnson, der Mann aus West Virginia, den ersten Fluss aufgrund großer Beschwerden wegen der Höhe auslassen.
Der Fluss, der vom Pangong-See Richtung dem Shyok fließt, ist wild, schwer und so wie es aussieht noch nie befahren worden. Man findet kaum sinnvolle Angaben über einen Namen in den Karten, obwohl es sich bei diesem Fluss um ein Gewässer mit verhältnismäßig viel Wasservolumen handelt. Der am meisten verbreitete Name ist Long Konma – man hört jedoch auch Tangtse Tal.
Man findet im Internet keine Informationen über eine geglückte Befahrung der Long Konma Schlucht, die der Fluss vor seiner Mündung in den Fluss Shyok durchbricht. Außerdem können sich auch die wenigen lokalen Paddler in Leh an keine Befahrung erinnern. Schon gar nicht die lokale Bevölkerung, die uns nur vor riesigen Wasserfällen in der Schlucht warnt.
(Anm.: Das Thema Erstbefahrung ist ein typisch westliches Thema. Erstbefahrung, Erstbesteigung: Ich habe dazu mittlerweile ein gespaltenes Verhältnis. Sicher reizt der Gedanke, Land zu betreten, das noch nie zuvor jemand betreten hat. Es ist jedoch sehr wichtig, dass man dies sehr bewusst macht und nicht arrogant angetrampelt kommt, was ja doch eher der klassische menschliche Stil ist.
Ich selbst habe schon von Erstbefahrungen gelesen und mir gedacht: „Mhh, das bin ich doch schon viele Jahre zuvor gepaddelt.“ Vor allem die jüngere Generation googlet und das Ergebnis der Suche entscheidet über Erstbefahrung oder doch nicht.)
Erstbefahrung hin oder her: Wir nehmen das Projekt in Angriff, einen Fluss zu paddeln, dessen Namen wir nicht einmal genau wissen. Gemeinsam mit Brenton Petrillo (USA) und Michael Charles (UK) starten wir zeitig am 12.08.18 dieses Projekt.
Zuerst führt die schmale Straße, die das Nubra Tal mit dem Pangong See verbindet, noch entlang des Flusses. Wieder einmal ist die Wasserwucht von der Straße aus nicht so zu erkennen gewesen und so hämmert (wie man im Wildwassersport zu sagen pflegt) der Fluss wild dahin.
Gleich zu Beginn muss ich 2 grenzwertige Stellen umheben, die Jungspund Brenton mit seiner jugendlichen Schmerzlosigkeit und seinem exzellentem Paddelstil meistert. Etwas Glück ist dabei, aber er kommt beide Male unten im Kehrwasser an.
Dann geht es in die unbekannte Schlucht; alle drei sind wir angespannt, denn die nächsten Stunden dürfen keine Fehler passieren. Gleich zu Beginn eine unfahrbare Steilstufe, die wir mühsam rechts umtragen.
Im Anschluss wieder relativ leichtes, paddelbares Wildwasser; doch dann wieder ein Felssturz, der den gesamten Fluss in ein unbezwingbares Labyrinth verwandelt.
Es beginnt der wildeste Umtrager meiner doch schon lange dauernden Paddelkarriere. Mehr als 2 Stunden tragen wir die Boote hinauf und über Steilstufen sowie riesige Felsblöcke wieder hinunter, eher wir völlig am Limit unserer Kräfte wieder ins Boot einsteigen.
Bereits 11 Stunden sind wir am Wasser und die Höhe macht es uns nicht gerade leichter. Brenton, gerade noch wilde Erstbefahrungen geleistet, muss auch Himalaya-Lehrgeld zahlen und bekommt den berühmten „Höhenhammer“ auf den Kopf. Er kann kaum mehr sein Boot tragen. Er verausgabt sich an dem Tag so, dass er dann 2 Tage pausieren muss.
Tief hat sich der Long Konma in die Felsen gegraben und einige genußreiche Paddelmeter können wir machen, ehe es noch einmal zum Klettern und Tragen der Boote wird. Der gesamte Fluss fließt unter einem riesigen Felsklotz unterirdisch durch; einem Megasiphon.
Nach 13 Stunden erreichen wir kurz vor Einbruch der Dunkelheit den Mündungsbereich, wo A. J. Johnson mit Fahrer Sin bereits darüber plauderte, was sie wohl machen könnten, würden wir nicht ankommen.
„Was hättet ihr gemacht?“, frage ich A.J. am Abend. „No idea!“, sagt er und schmunzelt.
Der Shyok Fluss, der aus der Ostseite des Karakorum fließt und 550 km weiter in den Indus mündet, bietet am nächsten Tag einen interessanten Flussabschnitt mit großen Wellen und einem Phänomen, das ich noch nie erlebt habe; ein Sandsturm am Fluss macht uns auch diesen Tag nicht gerade zum absoluten Genusspaddeltag.
Dennoch ist es spannend und unvergesslich und man bekommt Lust darauf, möglicherweise den gesamten Fluss zu paddeln. Pakistan wird dabei jedoch etwas dagegen haben.
Nur noch 4 Tage Permit, dann müssen wir Nubra verlassen. Wir sind in Form und paddeln einen weiteren Klassiker, der jedoch noch kaum als selbiger erkannt ist und es hoffentlich auch nie wird. Der Hunder ist ein steiler, wilder Fluss, der ebenfalls in den Shyok mündet. Sein Unterlauf ist wenige Male befahren durch lokale Paddler aus Leh. Ein wunderbar wilder Ritt mit dem Kajak, der schnellste Manöver verlangt. Ich bin ganz schön froh, als ich gut beim Ausstieg ankomme, denn ich paddle heuer mit einem Boot, an das ich nicht gewöhnt bin. Seinen Oberlauf ist noch unbezwungen wie es aussieht und wir verbringen einen ganzen Tag mit Besichtigen. Mir ist jedoch von Anfang an klar, dass der Wasserstand zu hoch ist. Brenton ist etwas enttäuscht, dass niemand ernsthaft die Gefahren einer Befahrung riskieren möchte. Bei Niederwasser wäre es sicher eine spannende Sache, doch in dieser Region muss man nicht immer an die Grenzen gehen, man ist ohnedies in vielerlei Hinsicht grenzwertig unterwegs in diesem Teil unserer Erde.
Stephan, „alles gut Oida!“, die Tage bin ich mir bewusst geworden, wie sehr du abgehen wirst! Aber egal, wie alles läuft, du lebst in jedem Fall in mir weiter; ein Teil von dir in jedem Fall! Ja und mit dir habe ich immer gezeigt, dass man nicht in den Himalaya muss, um Abenteuer zu erleben. Doch es gibt ja auch andere Gründe, warum man Plätze, Täler und Völker besucht, mit denen wir ohnedies seit jeher (nicht nur dank der Seidenstraße) sehr eng verbunden sind; mehr als man oft umgangssprachlich äußert, wenn man „von einer anderen Welt“ spricht. Aber das ist eine andere Geschichte.
Danke an die Firma outdoorer, die mir ein Zelt zur Verfügung gestellt hat; „ein Zuhause für den Weg“. Es ist ein super Zelt, das in heimatlichen Gefilden seine Wurzeln hat und einem fern von zu Hause immer noch das Gefühl von Heimat gibt.
Gerade für den Kajaksport interessiert sich kaum jemand in unserem Land und derweil bin ich mir sicher, gibt es kaum einen Sport, der den Menschen am Ufer so viel Freude beim Zusehen bereitet. Ich kann mich nur ganz selten erinnern, dass am Flussrand oder auf Brücken nicht staunende Menschen standen; Kinder die begeistert winken; und das nicht nur in Ladakh. Mögen die 3% der letzten wilden Flüsse in Österreich auch in Zukunft noch frei fließen können, nicht nur wegen dem Kajaksport; das ist wohl der am wenigsten wichtige Grund!